Glaube Liebe Hoffnung

von Ödön von Horvath

Premiere: 12. October 2012 Konzert Theater Bern

Regie: Matthias Kaschig

Bühne: Michael Böhler

Kostüm: Stefani Klie

Musik: Michael Frei

Dramaturgie: Jan Stephan Schmieding

Elisabeth Sophie Hottinger, Oberpräparator / Arbeiterfrau Margot Gödrös, Frau Amtsgerichtsrat / Maria Henriette Blumenau, Präparator / Amtsgerichtsrat / Invalider Peter Jecklin, Buchhalter / Kriminaler / Kriminalinspektor Dominique Müller, Baron / Die Prantl / Kamerad Stefano Wenk, Vizepräparator Andri Schenardi, Schupo (Alfons Klostermayer) Jonathan Loosli

 

  • Sophie Hottinger spielt die Elisabeth, und sie macht diesen Zerfall zum bleibenden Eindruck, weil sie dünn aufträgt. Sie bleibt dezent, selbst wenn sie schreit, und das passt zur ganz normalen Katastrophe der Arbeits-, Brot- und Aussichtslosigkeit, die ihr passiert. (...) Wegen Horváths Lakonie weiss man umgehend, dass der Abend in die Hosen geht: Kaschig macht das Gegenteil davon. Er schickt lauter Karikaturen auf die grosse Vidmar-Bühne, die Michael Böhler mit schweren, sperrigen Holzkuben vollgestellt hat, die genauso Gruften auf einem Friedhof sind wie Häuser der Grossstadt. Hier gehen Kaschigs Pappkameraden um, grotesk kostümiert, schmierig geschminkt, grell überzeichnet. (...) Das ist Kaspertheater mit Film-noir-Anstrich; komisch, aber erst einmal harmlos. Hat sich nicht der Autor genau das verbeten? Hat er nicht erklärt, das sei kein Stück für Parodien und «Juxspiegelbilder»? Hat er. Und trotzdem kommt hier alles gut. Wie der Regisseur und seine sieben Schauspieler den Klamauk zur Tragödie wenden, so schleichend wie zwingend, und alles auf jenen gespenstischen Schluss zulaufen zu lassen, in dem sich Elisabeth mit einer Flasche Wasser (!) ertränkt, während ihr die anderen dabei zusehen, in ihrer ganzen brutalen Dummheit – man staunt. Es ist das Ende einer Geisterbahnfahrt, die Michael Frei (Musik) mit verhackstückten Marsch- und Karussellmelodien schwärzt: Die Pappkameraden haben sich in tödliche Clowns verwandelt, und darum funktioniert das Ganze am Ende eben doch. Sagt nicht Elisabeth, dass hier «die Menschen keine Menschen sind»? Matthias Kaschig hat sie beim Wort genommen und als einzige menschliche Gestalt in eine Manege geworfen, die er mit lauter Bestien bevölkert. Die Idee nimmt sich zunächst grob aus, führt aber zu Horváth zurück: Thema hier sei – auch das hat er gesagt – der Kampf eines Individuums gegen die Gesellschaft. Und genau dieses «ewige Ringen» (Horváth) zeigt Kaschig mit seinem Unmenschenzirkus. Gleichnishaft und so drastisch, dass es einem an die Nieren geht.

    Daniel De Falco, Der Bund

  • Totentanz als lebendiger Reigen (...) Regisseur Matthias Kaschig überzeugt mit dem Martyrium einer Heiligen, die ihre Religion verliert. Unter Kaschigs Leitung kommt das Werk in den Vidmarhallen als höchst lebendiger Reigen daher, als zeitloser Kampf zwischen einem Individuum und der Gesellschaft. Kaschigs Arbeit dauert angenehme 90 Minuten. Sie fordert das Publikum, erdrückt es aber nicht. Seine Figuren sind nicht bloss schrill, sondern haben plakative Aussagen. Sophie Hottinger gibt ihr die Gestalt einer Heiligen, die ihre Religion verliert. Sie glaubt, liebt, hofft – und verzweifelt. Sehr schön und sehr berührend.

    Peter Steiger, Berner Zeitung